Nach dem Studium der Architektur an der Technischen Universität München und des Designs an der Königlichen Akademie in Antwerpen und an der Universität der Künste in Berlin erhielt Dominik Cosentino das Elsa-Neumann-Stipendium für Nachwuchskünstler und arbeitet seither selbständig. Sowohl seine akademischen Jahre als auch seine Arbeitserfahrungen haben sein Interesse geweckt, sich der Kunst als einem Objekt soziopolitischer Untersuchungen zu nähern. Sein Werk ist stark forschungsbasiert und umfasst Skulpturen, Video- und Mixed-Media-Installationen, wobei er einen transdisziplinären Ansatz verfolgt. Dominik Cosentino lebt und arbeitet in Berlin und Halle/Saale wo er am Lehrstuhl für Modedesign der Universität Burg Gibichenstein unterrichtet.
Martino 1 - 36 von Dominik Cosentino beschäftigt sich mit der Symbolsprache des modernen Anzugs, seinem Ursprung und seiner heutigen Verbreitung. Die Serie umfasst 36 Porzellanskulpturen, die einen in 3D gescannten Geschäftsmann darstellen. Es lässt sich kaum vermeiden, dass Kleidung die soziale Stellung ihres Trägers markiert. Die während der Französischen Revolution notorisch proklamierte Freiheit der Kleiderwahl ist bis heute nicht durchgesetzt. Die von den Sans-Culottes geforderte Uniform für alle ist bis heute nicht verwirklicht worden. Im Gegensatz dazu haben verschiedene gesellschaftliche Gruppen begonnen, sich zu uniformieren. Dementsprechend lassen sich die verschiedenen Gruppen in der heutigen Gesellschaft auch durch die von ihnen gewählten und getragenen Kleidungsstücke definieren. Der Stil des Anzugs hat sich seit seiner Entstehung im späten 18. Jahrhundert immer wieder verändert. Durch seine ständige Präsenz und seine Fähigkeit, sich ständig zu verändern, hat das Herrenkleidungsstück nicht nur an Erfolg, sondern vor allem auch an Glaubwürdigkeit gewonnen. Die Fähigkeit des Anzugs, sich permanent zu regenerieren und damit eine stabilisierende Kontinuität zu schaffen, stellte in Zeiten des ständigen Wandels ein geschätztes Sicherheitsnetz gegen formale Instabilität dar, das auch heute noch dem Konsumenten ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit zu vermitteln scheint. Nicht zuletzt dank der Frage, wer zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort welchen Anzug trägt oder getragen hat, lassen sich nicht nur Analysen und Spekulationen über die Entwicklung der modernen Gesellschaften anstellen, sondern auch über die Entwicklung internationaler und globaler Dynamiken. Die Anzugshaut wird hier als eine entscheidende Etappe in der sozioökonomischen Entwicklung der
sozialen Tracht gesehen: als Organ der Macht. Cosentino entwickelte die Idee, den stereotypen Mann im Anzug als Porzellanplastik darzustellen, um seine figurative Dekorativität zu fetischisieren. Auf diese Weise invertiert er seinen Blick. Jede Skulptur wurde aus einer individuell gefärbten Porzellanmasse hergestellt. Nach einem genauen Farbschema wurde die 36er Hautfarbskala des österreichischen Forschers und Anthropologen Felix von Luschan aus dem Jahr 1922 nachempfunden. Dies stellt sowohl das bewusste als auch das unbewusste hierarchische Denken in Frage. Obwohl von Luschan betonte, dass er aus rein wissenschaftlichem Interesse arbeitete und versuchte, bei seinen Forschungen objektiv und neutral zu bleiben, stellt sich dennoch die Frage, wer die konkreten Auswahlkriterien festlegte und wie die Daten verarbeitet wurden, um diese „wissenschaftliche“ Erfassung von Menschen zu erstellen. Wie wird eine solche Hautfarbenskala erstellt und zu welchem Zweck? Die Grenze zwischen objektiver Erfassung und subjektiver Auswahl ist nach wie vor sehr dünn. Cosentino zieht bewusst eine Parallele zur Bekleidungsindustrie, um ein kritisches Nachdenken über deren Forschungsmethoden und hierarchische Produktionssysteme anzuregen. Indem er spekulative Machtsymbole entlarvt, stellt er darüber hinaus die moralischen Standards und die pädagogischen Funktionen moderner Museen in Frage. Die Exponate werden nach wie vor bewusst inszeniert und arrangiert, um dem Betrachter ein Gefühl der evolutionären Kontinuität zu vermitteln. Diese Kontinuität ist genau so kuratiert, dass sie das Publikum nicht zum Hinterfragen anregt. Die Frage, wie und warum akzeptierte Realitäten fortgeführt und unterstützt werden, ist daher unausweichlich. Durch die bewusste Umkehrung bestimmter Ausstellungstechniken und museumstypischer Materialien ermöglicht Cosentino die Umkehrung des Blicks. Damit provoziert er eine Verzerrung der Wahrnehmung und damit eine aktive Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Betrachtung.
Die Serie Martino 1 – 36 ist ursprünglich Teil der Installation How I followed and developed an unsuited fetish for the suited man, zu der auch ein gewebter Jacquard gehört, der die anatomische Sezierung eines Herrenanzugs zeigt, ein Ebenholz-Schlachtspeer mit einem gegossenen Bronze-Idol an der Spitze und darüber hinaus eine Videoinstallation, die nach den Prinzipien der Composite-Fotografie ein spähendes Auge zeigt, das Männer in ihrer Business-Kleidung ausspäht.